Für Stadtkinder sehen ein Schaf und eine Ziege ungefähr gleich aus, besonders wenn das Schaf keine Wolle mehr hat. Halb-Land-Kinder, wie ich Jere und Thomas gerne bezeichnen würde, haben aber auch keine bessere Vorbereitung auf das, was uns bei unserer zweiten Wwoofingstelle erwartet hat: das ökologische Landleben pur.
Susi und Kevin, zwei ausgewanderte Engländer, nehmen oft Wwoofer auf, um ihre kleine Ziegenfarm aufrecht zu erhalten und ernähren sich fast zu 100% selbst, also organic. Nahezu alles, was sie essen, bauen sie selbst an bzw. erzeugen es selbst. Was sie zusätzlich kaufen müssen, ist auch oft organic. Ihre Einkäufe und das Benzin finanzieren sie über die Einnahmen, die sie jeden Samstag auf dem Markt in Nelson erzielen. Hier verkaufen sie einen Teil ihrer Ernte. Ihren Ziegenkäse dürfen sie nicht anbieten. Scheinbar ist das Gesetzt in Neuseeland so aufgebaut, dass man entweder einen sehr großen Betrieb haben muss, damit sich der Verkauf lohnt, oder nur für die Eigenversorgung herstellen darf.
Wie bereits erwähnt, wurde das Haus von unserer letzten Wwoofingmutter Helen designt. Die hatte uns bereits vorher verraten, dass sie den Stil nach Angaben einer Freundin von Susi aufgebaut hat. Auf diese Weise entstand ein gradliniges Biohaus, angelegt für Designermöbel und reduzierte Einrichtung. Susi und Kevin sind jedoch Farmer, die ihre Arbeit sprichwörtlich mit nach Hause nehmen. Und so liegt auf dem Boden vor der großen Glasfront die letzte Ernte: halbgrüne Tomaten, Knoblauch, Zwiebeln und Wolle. In der Ecke steht eine mittelalterliche Webmaschine und die Küche ist überfüllt mit Sachen, die die Ziegen benötigen, oder die zur Käseherstellung gebraucht werden. Wenn Helen das gewusst hätte, wäre sicherlich ein Extrabereich mit Küche für die Farmarbeit in ihrer Planung enthalten gewesen. Vielleicht ist das aber auch nur wieder die Idee eines Stadtmenschen, der sich unwohl fühlt, wenn neben dem morgendlichen Tee das Ziegenfutter angerührt wird. Doch der Mensch ist ein Gewöhnungstier und wir entschieden, wenn das Essen und die Arbeit gut sind, zu bleiben. Tatsächlich haben wir in allen Wochen zuvor noch nie soviel gelacht, wie in dieser Woche.
Meine Lieblingskommentare:
Thomas: „Da schwimmt was auf meinem Tee.“
Jere: „Was ist es?“
Thomas: „Ich weiß nicht, es ist gerade abgetaucht.“
Oder
Jere: „Vielleicht sollten die ein Schild an die Eingangstür hängen: ‚Beim Eintreten bitte die Schuhe ausziehen, sie könnten dreckig werden.’“
Dabei waren die Ziegen wirklich sauber! Und mit Ausnahme des Hammels stanken sie kein bisschen. Ich konnte mich jedoch bis zum Schluss nicht an den Ziegenfuttergeruch im Haus gewöhnen. Als dann bei einigen Mahlzeiten das Essen ähnlich roch, begnügte ich mich ab und zu mit den Beilagen. Die Jungs waren dank ihrer nicht so empfindlichen Nase begeistert, dass es häufig Fleisch zum Essen gab (nach einer Woche fast ausschließlich vegetarischen Essens). Es war auch eine Art Ehre, dass wir so oft ein Tier zum Essen bekamen, denn wie gesagt, die zwei versuchen sich selbst zu versorgen und auf behandeltes Fleisch zu verzichten, was bedeutet, dass sie ein Tier schlachten müssen, wenn sie Fleisch essen wollen. Wir bekamen also Ziegensuppe, Lammkeule (sie haben auch ein paar Schafe), Rind (vom Nachbarn) und eine Art Wildschwein – Captain James Cook hat vor hunderten Jahren, als er Neuseeland neu entdeckte, eine Herde Hausschweine ausgesetzt, deren Nachkommen sozusagen als Wildschweine heutzutage in Treibjagten geschossen werden. Wir haben also ein Stück Geschichte gegessen. Abgesehen von dem Stinkefleisch, das wie gesagt den Jungs gut geschmeckt hat, war das Essen wirklich vorzüglich. Es ist beeindruckend, was man alles selbst produzieren kann: natürlich Marmelade, Brot, Ziegenkäse, weicher Käseaufstrich, Milch und Kräuterpesto. Susi und Kevin informierten uns immer wieder über Einzelheiten des „Organic Farmings“, wie man z.B. Knoblauch aus China erkennt, das stark mit Chemikalien behandelt wird. Meine Befürchtungen, was das ungesunde Essen hier in Neuseeland angeht, nehmen immer mehr zu. Wie bereits bei dem netten älteren Ehepaar Peter und Jenny bekamen wir auch hier die „Neuseeländische Spezialität“ Applecrumble zum Nachtisch: Äpfel und Feijoa (Neuseeländische Frucht, ähnlich einer Kiwi – ok, eigentlich eine Frucht aus Mittelamerika – für alle Käpsele), alles aus eigener Ernte, kleingeschnitten in einer Auflaufform mit Buttersteußeln überbacken. Ich weiß nicht, ob es eine neuseeländische oder englische Sitte ist: Zu fast jedem Nachtisch (und es gibt immer Nachtisch) wird die Eiscreme aus dem Tiefkühlschrank geholt.
Die Arbeitszeit verging recht zügig, weil wir viele verschiedene Jobs zugeteilt bekamen. So saßen wir einen Nachmittag meditativ im Gemüsegarten, dünnten die Karotten aus und jäteten Unkraut. Dann ernteten wir Tomaten, Basilikum und Chilis im Gewächshaus, woraufhin wir alle Pflanzen herauszogen und den gesamten Untergrund von Unkraut befreiten. Weitere Jobs waren das durch die Gegend Treiben von Kühen, Ziegen und Schafen oder das Auswaschen von Trögen und Futterbehältern. An einem Regentag saßen wir im Wohnzimmer und nahmen Knoblauchknollen auseinender, sortierten sie und hüllten Feijoas aus (für Marmelade). Außerdem sammelten wir Kiefernzapfen (zum Ofen anheizen), rauhten mit einer Stahlbürste Beton an, harkten Gras, fütterten Tiere oder sortierten fauliges Heu aus. Die interessanteste Arbeit war das Ziegenmelken, das jeden Morgen statt fand. Ich habe es tatsächlich geschafft, ein wenig Milch mit der Hand abzuzapfen und anschließend die Vakuummaschine anzuschließen. Besonders süß waren die Babyziegen, von denen wir auch die meisten Bilder gemacht haben. Diese Form der Arbeit ist sehr interessant und wir sind froh, diese Wwoofingstelle bekommen zu haben. Ein wenig nervig war jedoch, dass wir oft ganz kleine Jobs bekamen, die wir zu dritt innerhalb von 10 Minuten erledigt hatten und wir dann anschließend wieder einen der beiden finden mussten, um nach der nächsten Aufgabe zu fragen.
Dadurch, dass wir mit Susi und Kevin zusammenarbeiteten, lernten wir sie viel besser kennen, als Dougal und Helen, auch wenn sie in persönlichen Dingen ein bisschen zurückhaltend waren. Was wir vorher wussten: Susi hat die Hosen an. So spricht jeder nur von „Susis Farm“. Ein Grund dafür mag sein, dass Susi schon weitaus länger in Neuseeland ist. Helen hat uns erzählt, dass Susi damals mit ihrer Tochter vor Kevin „geflüchtet“ ist und sich hier in Neuseeland eine eigene Existenz aufgebaut hat. Vor etwa zwei Jahren kam Kevin hinterher gereist und die beiden haben sich scheinbar wieder vertragen. Beide sind etwas egozentrisch, wie uns Helen bereits vorgewarnt hat. So hängt an ihrem Kühlschrank beispielsweise ein Magnet mit der Aufschrift „Zuhören und den anderen ausreden lassen“ – sie wissen also durchaus, wo ihre Schwächen in der Kommunikation liegen. Die beiden sind in der Organic-Politik aktiv, gehen zu öffentlichen Anhörungen und vertreten ihre Meinung. Sie sind sehr unzufrieden, wie in Neuseeland mit diesem Thema und besonders den genmanipulierten Lebensmittel umgegangen wird. Ein paar Schimpfwörter haben wir in dieser Zeit auch gelernt. Susi meine einmal, Kevin sei nur nach Neuseeland gezogen, weil man hier eine Waffe haben darf. Und tatsächlich zählt es zu seinen Hobbys, die eingeschleppten Vogelarten abzuschießen. Wieder wurde noch deutlicher, wie die Neuseeländer kämpfen müssen, um die ursprüngliche Natur zu erhalten. Die Schuhuntersuchung am Flughafen wird immer plausibler.
Die beiden und ihre naturnahe Lebensweise unterscheiden sich sehr von dem, was wir sonst so kennen gelernt haben, aber am Ende der Woche müssen wir zugeben: Wir haben uns daran gewöhnt und angefangen, ihre Art und Motivation zu verstehen und zu mögen.
Ein Highlight der Woche war für mich der Pubbesuch in Upper Moutere – der angeblich älteste Pub in Neuseeland. Susi nahm uns am Samstagabend spontan mit dort hin, nachdem sie Kevin von dort abgeholt hatte (zu betrunken, um selbst zurück zu fahren). Die „Gypsy Pickers“ (http://www.gypsypickers.com/), eine Hippiefrau und ein kubanisch-maffiamäßig-aussehender Hippiemann, die ganz toll Gitarre, Banjo und sonstige lustig aussehende Instrumente spielten und toll dazu singen konnten, traten an diesem Abend dort auf. Die Sängerin war für mich die Vorzeigefigur einer Hippiefrau: leicht gewellte lange blonde Haare, Schlaghose und Glitzer-Flower-Powertop. Die Liederauswahl war toll, viele bekannte Coversongs und alle sehr passend zu ihren Stimmen. Susi und mich hielt es nicht lange an der Bar und bald schwitzten wir (Ofen direkt neben der Tanzfläche) auf der kleinen Tanzfläche vor der Band. Der Pub unterschied sich von den „klassischen“ Pubs in seiner Offenheit und Helligkeit. Ein Billardtisch hielt die Jungs davon ab, sich zu überlegen, doch noch zu tanzen (wobei ich da bei Thomas langsam keine Hoffnung mehr habe). Ich trank ein leckeres Gingerbier – Ingwer ist hier in Neuseeland z.B. in Keksen etc. ein favorisiertes Gewürz. Die Jungs bekamen von Susi je einen Biertest spendiert: 4 kleine Gläser verschiedener neuseeländischer Biere, die sie auf einem Bierdeckel bewerten konnten. An einer Pinnwand hingen neben Ankündigungen für die nächste „Quiltshow“ die Statistiken zu den Bierbewertungen. Der Barmann war etwas schockiert von unseren zwei kritischen deutschen Jungs, die keine bessere Punktzahl als 7 vom 10 gaben. Auf dem Rückweg fuhr ich dann Susis Auto, während sie den Pickup von Kevin nach Hause brachte. Schade, irgendwann möchte ich auch einmal so einen Pickup fahren! Die gibt es hier zu hauf, meistens von der australischen Marke Holden – sehr schön designt, in grellem grün oder anderen knalligen Farben. Jetzt am Ende waren wir dann sogar ein bisschen traurig, schon wieder abreisen zu müssen, aber auch ein wenig erleichtert, in unser gemütliches Hostel zurückzukehren. Wir sehen aber sicher beide unserer Wwoofingfamilien auf dem Wochenendmarkt wieder.
Uns wird „the brisk jung ploughboy“ im Ohr bleiben, ein Lied, das Kevin für seine monatlichen Pubauftritte jeden Tag geübt hat. An jedem ersten Donnerstag im Monat findet im Pub eine Folknight statt, bei der jeder der möchte, musizieren kann. Kevin hat es sich zur Aufgabe gemacht, alte vergessene britische Lieder zu lernen und den anderen vorzusingen. Ansonsten treten dort wohl hauptsächlich Schotten und Iren auf. Am übernächsten Donnerstag sind wir auch dabei, vielleicht lässt sich Jere ja noch überreden, seine Gitarre mitzubringen.
Jetzt sind wir wieder im gemütlichen, sauberen „Bug“-Hostel und haben alle unsere Klamotten gewaschen, um die Landluft wieder los zu werden. Hier ist nun die Wintersaison angebrochen: Nur noch wenige Gäste sind da und jede siebente Nacht ist umsonst. Die Tage werden kürzer und kälter. Der Hostelbesitzer meinte, eigentlich sei der Mai viel kälter und der erste Frost würde einsetzen. Wir haben also bisher mit dem fast durchweg tollen Wetter und der noch immer brennenden Sonne wirklich Glück. Die ersten Tage beschäftigen wir uns hier noch mit ein paar kleinen Designaufträgen und Arbeiten und dann geht es darum, einen Job zu finden. Wir sind gespannt und ein wenig nervös, ob wir das schaffen und welche Tätigkeit es am Ende wird. Doch vorher verdunkelt sich mein Horizont noch mit einer Vorahnung… Die sonnige Zeit wird knapp und so sollten wir, wenn wir es noch vor dem Winter machen wollen, den Abel Tasman Park besuchen. Besuchen bedeutet: Den Rucksack mit Essen und Klamotten für 2-5 Tage und für die Übernachtungen in den Huts voll packen und loslaufen. Wir werden sehen…
Tja, Jere, vielleicht sollten wir für die Folknight im Pub doch noch ein bißchen zusammen üben 😉
Da wär ich sofort dabei 🙂 Gewinnspiel gewinnen und runter kommen!